Gegenwart

Wenn man aus der Zukunft kommt, macht einem die Gegenwart Angst. Im Grunde ist davon auszugehen, dass man alles weiß. Nur stellt sich einem stets die Frage, ob man selbst erst derjenige ist, der auslöst, was er bereits erlebt hat. Das ist sehr verwirrend und ein Wrestling-Publikum sollte man nicht überfordern. Hierher gesellt sich oft nicht die intelligenteste Spezies. Diese Menschen möchten einfach unterhalten werden.

„Da ist ja unsere aktuellste Neuerwerbung!“

Eine liebliche Stimme. Sehr lieblich. Sie gehört einer Frau, einer durchaus attraktiven Frau. Ein Blick auf meine Uhr. Jetzt kenne ich die Frau, bin informiert. Ich gehe zu ihr. Ich werde mit ihr sprechen.

„Hallo…Boss!“

Die Dame lächelt. Einer von vielen Superstars, den die Geschäftsführerin der PCWA eigenhändig unter Vertrag genommen hat. Und sie ist und war sich noch nie zu schade, ihre hohen Erwartungen auszusprechen.

Jona Vark: "Es freut mich, dass sie es geschafft haben. Zeugt auch von ihrer Arbeitsmoral. Kein Match und trotzdem bei der letzten Vendetta vor dem CORE. Das gefällt mir. Ich gehe stark davon aus, dass sie meine Erwartungen mehr als übertreffen werden."

Man: „Meine Zukunft hier wird rosig aussehen... und Sie… nun… Sie werden sehr bald einige Überraschungen erleben…“

Mit einem leicht süffisanten Lächeln in der Stimme fährt die Geschäftsführerin fort.

Jona Vark: "Nun, die Sprüche sollten sie sich lieber für das Publikum aufheben. Für mich zählt in erster Linie, was sie im Ring zeigen werden. Aber dazu werden sie auch direkt bei Vendetta 97 nach dem CORE die Gelegenheit erhalten."

Ein Lächeln macht sich auf meinen Lippen breit. Auf ihren ebenfalls.

Man: „Warum nicht bereits bei CORE? Ich bin bereit!“

Doch es scheint, als müsste die Geschäftsführerin den Mann zügeln.

Jona Vark: "Nun, in erster Linie dient ein PPV dafür Leute zu präsentieren, die uns Geld einbringen werden. Bekannte Gesichter, Hochkaräter. Es ist immer schwer mit einem Match ohne irgendeine Starbeteiligung zu punkten. Es wäre schlecht ein Match zu bringen, bei welchem es auch möglicherweise kaum Reaktionen der Fans gibt."

Man: „Schon gut. Mir ist bewusst, dass die Skepsis groß ist. Niemand glaubt daran, dass ich wirklich ein Zeitreisender bin. Ich selbst kann es ja kaum glauben. Also geben Sie mir doch bitte die Gelegenheit Beweise zu erbringen.“

Jona Vark zuckt mit den Schultern. Sie versteht nicht, was genau ich von ihr will.

Man: „Da ich bei CORE kein Match erhalten kann, wie wäre es mit einem kleinen Special? Ich gewähre einer Person Ihrer Wahl einen Blick in seine Zukunft. Wenn ich richtig informiert bin, dann gibt es augenblicklich in Ihrer PCWA kein Talk Show Segment. Eine gute Wrestling-Show sollte jedoch so etwas besitzen. Und die beste Wrestling-Show sollte die beste Talk Show besitzen. Also biete Ich Ihnen ‚Future View‘ an. Die erste und einzige Gesprächsrunde, die einem Wrestler seine Zukunft vorhersagt. Einzigartig!“ 

Die Geschäftsführerin scheint nachzudenken.

Jona Vark: "Nun, erst einmal werden wir nachher tatsächlich ein Talk Show Segment haben. Aber Abwechslung kann nie schaden. Ich kann mir zwar kaum vorstellen, wie sie das bewerkstelligen wollen... lesen sie aus einer Zauberkugel? Aus der Hand? Das klingt schon ein wenig abenteuerlich, aber vielleicht können wir das ja versuchen..."

Man: „Ich garantiere Ihnen, dass ich beim CORE den Beweis erbringen werde, dass ich tatsächlich aus der Zukunft komme. Zumindest werde ich Zweifel bei allen Skeptikern sähen. Meine Mission erfordert das!“

Jona Vark: "Ihre Mission? Jetzt haben sie mich aber neugierig gemacht."

So gern ich diese Frau als Verbündete hätte, so wenig würde ihr mein Ziel gefallen. Immerhin wird es Sie ihren schönen Kopf kosten. Natürlich nur im übertragenen Sinne. Doch das ginge zu diesem Zeitpunkt zu weit.

Man: „Leider darf ich Ihnen das nicht verraten. Die Konsequenzen wären katastrophal. Und ohne Sie beleidigen zu wollen, es würde auch Ihren Intellekt übersteigen.“

Ich drehe mich um, wende mich ab. Es passiert, was passieren soll. Ihre Hand berührt meine Schulter. Ein eher unangenehmes Gefühl. Da ich diese Gegenwart noch nicht erlebt habe, weiß ich auch nicht, ob diese Hand eines Tages noch andere Körperteile von mir berührt.

Jona Vark: "Bevor sie gehen... bei Vendetta 97 werden sie gegen einen Gegner debütieren, der sie an ihr Limit bringen wird. Wir werden sehen ob ihre Vorschusslorbeeren ein Segen oder ein Fluch für sie sein werden."

Das klang jetzt bedrohlicher als mir lieb ist. Ich sollte in Zukunft…Also in der Gegenwart…Lassen wir das…ich sollte einfach meine Zunge besser hüten.

Man: „Ich freue mich drauf…“

…Ein Mann läuft an uns vorbei. Er stoppt, macht eine elegante Verbeugung und reicht der Chefin die Hand. Sie erwidert dies und grüßt ihn... widerwillig.

Jona Vark: „Mister O'Wellhubly... sie hier... suchen sie irgendetwas Bestimmtes?“

Noah: „Ich habe das Gefühl, meine Suche endet hier und heute. Aber vielen Dank für Ihre Nachfrage. Und machen Sie sich keine Sorgen, ich habe das Gefühl die Vertragsunstimmigkeiten zwischen mir und der PCWA sind bald kein Problem mehr.“

Noah wendet sich ab und starrt den Mann aus der Zukunft fragend an.

Noah O‘Wellhubly: „Kenne ich Sie irgendwoher?“

Ich bin verlegen irgendetwas zu sagen a la ‚Vielleicht aus der Zukunft‘, aber man sollte diese Floskeln bei seinem ersten Auftritt nicht übertreiben. Zu schnell werden sie nervig. Naja, und wie ich bereits erwähnt – es geht hier um einfache Unterhaltung. Komplexität verwirrt nur. Wozu anspruchsvolles bieten, wenn es die simplen Dinge sind, die im Gedächtnis bleiben.

Man: „Nein, Sir. Aber ich kenne Sie.“

Jona Vark: "Okay, das bereitet mir wirklich Kopfschmerzen. Ich bin neugierig, sie sollen ihre Talkshow erhalten. Ich bin gespannt, was sie uns da auftischen werden, wenn sie das schon großspurig ankündigen. Und ein freundlicher Hinweis zum Schluss... Noah O'Wellhubly... wenn sie in die Zukunft schauen, sollten sie die Vergangenheit nicht vergessen. Und Noah O'Wellhubly war für die Vergangenheit der PCWA alles andere als dienlich..."

Wir schauen ihr beide hinterher. Nicht auf eine typisch männliche Weise. Es ist mehr etwas Geschäftliches.

Noah O’Wellhubly: „Diese Frau muss noch viel lernen. Ihr Geschäftsgebaren ist geprägt von Arglist und mangelndem Vertrauen. Ihr fehlt es an klaren Regeln. Aber zurück zu Ihnen. Sie sagten, Sie kennen mich?“  

Mit gesenktem Haupt, als Zeichen des Respekts, bestätige ich dies.

Man: „Wer kennt Sie nicht, Mr. O‘ Wellhubly?“

Noah: „Wissen Sie, das schmeichelt mir. Es ist ein Zeichen dafür, dass nicht alle in der neuen Generation durch fehlenden Respekt oder falsche Wahrnehmung gezeichnet sind. Ich habe mich immer als Jemanden betrachtet, der fair mit all seinen Geschäftspartnern umging. Man kann jeden meiner Weggefährten fragen, niemand wird ein schlechtes Wort über mich verlieren. Ich war immer loyal und diese Loyalität wurde mir auch zurückgegeben. Ich habe an einer erfolgreichen Vergangenheit der PCWA mitgewirkt und das sich ankündigende neue Gesetz der PCWA, wird eine erfolgreiche Zukunft ermöglichen. Die Sintflut war eine reinigende, denn Habgier, Neid und Eigensinn haben diese goldene Vergangenheit aufgefressen."

Er weiß es nicht. Er kann es nicht wissen. Aber ich tue es.

Man: „Zum Glück ist die Vergangenheit vorbei. Ich bin froh Ihnen so schnell begegnet zu sein. Mir wurde gesagt, ich solle mich an Sie wenden, wenn ich angekommen bin. Sie kennen die Regeln!“

Noah ist etwas irritiert, da er nicht weiß, was genau dieser ihm unbekannte junge Mann meint, aber gleichzeitig ist er auch fasziniert. Doch Noah hat noch nie allein aus Faszination gehandelt. Noah wusste immer welcher Mittel es bedarf um seine Visionen zu erfüllen. Dieser Mann ist das Zeichen auf das er den ganzen Abend gewartet hat. Dieser Mann ist sein Ticket zurück in die PCWA, dieser Mann wird ihm einen neuen, validen Vertrag verschaffen. Dieser Mann wird sein neuer Schützling und er wird den Weg ebnen... den Weg zum neuen Gesetz der PCWA. Der Mann aus der Zukunft wird schon bald ein gesetzestreuer Bürger sein.

Noah: „Vielleicht sollten wir uns einmal in Ruhe unterhalten – abseits der Kameras und Hektik einer Liveshow!?"

Er legt seine Hand über meine Schulter und geleitet mich fort. Die Berührung fühlt sich gänzlich anders an als die von Jona Vark. Es fühlt sich an wie etwas, dass ich kenne. So vertraut. So heimisch. So wahr.

 

Vincent Craven: "Da war er schon wieder, der angebliche 'Mann aus der Zukunft'."

Mike Garland: "Sah irgendwie... vollkommen normal aus. Nichts, was mir jetzt besonders im Gedächtnis bleiben würde. Bis auf seine wirren Geschichten natürlich. Also, wenn der wirklich aus der Zukunft kommt, dann fresse ich demnächst meine Taschenuhr. Mit Ketchup und Senf."

Vincent Craven: "Seine Geschichte mag phantastisch klingen... aber Jona ist damit professionell umgegangen. Um sich zu beweisen wir er beim PPV sogar ein eigenes Talkshow-Segment bekommen, in dem er einem unserer Superstars seine eigene Zukunft verraten wird."

Mike Garland: "Ich will! Ich will! Wäre aber eigentlich unsinnig denn jeder hier wird vorhersehen können, dass ich als weltweit gefeierter Entertainer eine lange und ruhmreiche Karriere haben werde."

Vincent Craven: "Natürlich. Ich sehe uns beide hier in 20 Jahren noch sitzen, beide alt und grau aber noch immer mit Feuereifer dabei."

Mike Garland: "Irgendwie kann einem der Mann aus der Zukunft ja auch leidtun. Da ist er bei unserer Chefin... und wem läuft er dabei über den Weg? Ausgerechnet Noah. Da gibt es durchaus bessere Begegnungen. Und wie es scheint, hat der schon seine Fühler nach möglichen Verbündeten ausgestreckt."

Vincent Craven: "Eine furchtbare Vorstellung."

Mike Garland: "Aber eine, die wir nicht beeinflussen können. Wenn der Mann aus der Zukunft ebendiese schon kennt, dann sollte er vielleicht besser das Weite suchen. Bei Noah kann nichts Gutes dabei heraus kommen."