Scene

Id
1306  
Name
(Auf) Wiedersehen.  
Summary
 
Position
31  
Scenetype
Live  
Created At
2014-02-05 11:55:37  
Edited At
2014-02-16 13:13:56  
Show
Vendetta 99  


Auch strahlende braungrüne Augen verlieren ihren Glanz, wenn sie Schreckliches gesehen haben. Wenn sie miterleben mussten, wie der Mensch, den sie lieber ansehen, als jeden anderen auf dieser Welt, zu einem nicht mehr identifizierbaren, blutenden Etwas zugerichtet wird.

Die Augen von Lisa Sanders haben vergessen, wie es ist, zu leuchten. Sie haben sich an den Trost spendenden Halbschatten gewöhnt, der dafür sorgt, dass alles Böse, alles Schlechte unsichtbar wird. Was sie nicht sehen können, kann ihnen nicht wehtun. Was ihnen nicht wehtun kann, kann nicht für quälende Erinnerungen sorgen.

Doch gerade, als sie sich damit angefreundet hatte, dass die Schatten ihre Freunde wurden, die Nacht ihre Seelenverwandte… kam dieser Anruf von höchster Stelle. Man wisse, dass die Situation sicherlich nicht leicht für sie wäre. Dass die Umstände bessere sein könnten. Doch dass es letztlich für alle Beteiligten bestimmt besser wäre, wenn sie sich ihren Ängsten stellen würde. Deswegen solle sie sich darauf vorbereiten, bei Vendetta 99 Jeffrey Ron Arrow zu interviewen, möglicherweise in Begleitung seines Tag-Team-Partners Kriss Dalmi. Es würden alle Schutzmaßnahmen getroffen werden, die sie dafür wünsche.

Sie wusste, dass sie ihm irgendwann wieder begegnen würde. Ihm, diesem Ungeheuer mit der verstörenden Maske, die das Gesicht eines weinenden japanischen Mädchens darstellt. Aber egal, was sie auch anstellte – wenn sie nur an ihn dachte, brach ihr der kalte Schweiß aus und vor ihrem inneren Auge lief in epileptisch zuckenden Bildern ein Film ab, der den Barbarian zeigte, der sie aus treuseligen Augen anschaute, hilflos und ergeben Schläge und Tritte über sich ergehen ließ. Und alles nur, weil Arrow seiner Chefin eine Botschaft übermitteln wollte. Drei Wochen später hatte sie eine Blume vor ihrer Haustür gefunden. Eine schwarze Rose. Mit einer Karte. „Es tut mir leid, es war nichts Persönliches“. Doch anstatt sich erleichtert zu fühlen, hatte sie Angst bekommen – nicht nur, dass dieser Psychopath ihren Lebensgefährten beinahe hingerichtet hatte, um einen Standpunkt klarzumachen… nein, er wusste auch, wo sie wohnt.

Sie steht da, reglos im Halbschatten. Ihre Augen sind matt. Alles, was glänzt, ist die feine Struktur des Maschendrahtzauns, der unüberwindbar vor ihr errichtet wurde und stolz das Licht einer entfernten Deckenbeleuchtung reflektiert. Sie wird dieses Interview führen. Hier, hinter dem Maschendraht. Hier, wo er für sie nur das sein wird, was sie ohnehin von ihm hält – ein Tier in seinem Käfig.

 

>>>CUT<<<

Nervös kratzt er sich an der Nase, wischt die Hautreste, die er dabei erwischt, an seinem GCWF-Retroshirt ab. Niemand darf wissen, dass es eigentlich gar kein Retroshirt ist, sondern das, was seine große Schwester vor vielen Jahren wegschmeißen wollte, weil es ihr nicht mehr passte. Der Student schüttelt leise den Kopf. Nein, das ist sein kleines Geheimnis und seine Schwester würde es nicht weitererzählen… das war der Deal, denn dafür würde auch nie jemand von der Gurke unter ihrer Bettdecke erfahren, die er als Teenager gefunden hatte, als er die ganze Wohnung nach den Salatzutaten abgesucht hatte, da er für das Abendessen zuständig gewesen war.

„Such Dalmi und Arrow und sag ihnen, sie sollen ihr Match hypen. Lisa wartet!“ Das war sein Auftrag, das war seine Mission.

 

>>>CUT<<<

Der Abend war bis hierhin, gelinde ausgedrückt, beschissen gelaufen. Erst hatte er beinahe den tanzenden Freak auf dem Parkplatz überfahren, dann hatte er, mal wieder, Streit mit Jona Vark und vor ihm liegt ein Match, das ihn nicht einmal im Ansatz reizt. Die einzigen positiven Dinge bisher waren das Gespräch mit der schwielenhändigen Frau, das er nach seiner Auseinandersetzung mit der Chefin führte, sowie die Tatsache, dass er Kriss Dalmi gefunden hat. Er kauert auf dem gräulichen PVC-Boden an die Wand der Umkleidekabine gelehnt und rubbelt mit den Handinnenflächen über seine Oberschenkel. Es fröstelt ihn. Ihn, Jeffrey Ron Arrow. Er blickt auf, betrachtet nachdenklich seinen Partner für den heutigen Abend, der ein Smartphone in seiner Handfläche wiegt und mit dem Zeigefinger seiner anderen wahllos darauf herumtippt, frustriert grunzt und danach wieder darauf herumkloppt, nur um daraufhin erneut frustriert aufzustöhnen. Wie man jemanden mit diesem "Ding" anruft, hat er nun begriffen. Aber wie kann man sich verdammte Videos auf YouTube damit anschauen???

>>>CUT<<<

Mit zittrigen Fingern streicht Lisa Sanders eine Strähne lockigen Haars hinter ihr Ohr. Drückt knisternd eine Alprazolam aus ihrer Verpackung. Nur noch diese eine. Wieder einmal nur noch diese eine. Diese Letzte. Diese Letzte, die die Monster unter ihrem Bett verschwinden lässt. Sie schließt ihre Augen. Schluckt.

>>>CUT<<<

Mit pochendem Herzen steht der Student vor der Umkleidekabine, in der sich nach seinen Informationen das teuflische Duo befinden soll. Er hat weder Dalmi noch Arrow jemals persönlich gegenüber gestanden. An wochentäglichen Abenden, wenn er früh alleine zuhause ist… da steht er manchmal vor dem Spiegel. Spannt seine kindlichen Muskeln an. Stellt sich vor, er selbst wäre Wrestler. Würde die Bösewichte und Schufte mit wehendem Cape herausfordern. Übt seine eigenen Posen. Kreiert sein eigenes Moveset. Solange, bis seine Mutter ruft, dass er Salat machen soll.

Er klopft. Wartet nicht ab. Platzt herein.

>>>CUT<<<

Die Tür wird ungefragt aufgerissen. Arrow und Dalmi fahren herum, mit einem Satz ist die Lüge an der Tür, greift der eintretenden Person druckvoll an die Kehle. Erkennt jedoch sogleich, dass keine Gefahr droht. Ein letzter, kraftvoller Druck. Dann stößt er die schmächtige Gestalt von sich. Vermutlich irgendeiner dieser Studenten, die ehrenamtlich für die PCWA tätig sind. Interessiert pirscht auch Dalmi zur geöffneten Tür. Zwei Augenpaare richten sich fordernd auf den namen- und profillosen Studenten. Der hustet. Röchelt. Stottert.

Student: „Entschuldigen sie… sie haben einen Interviewtermin. Jetzt gleich. Ich soll sie holen.“

Die Lüge und der Junkie schauen sich an. Schulterzuckend. Desinteressiert. Nicken dem Studenten zu.

Dalmi: „Wo?“

Student: „Ich führe sie hin.“

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Die Wirkung wird erst während des Interviews eintreten. Genau dann, wenn es am besten ist. Sie wird sich nicht gut fühlen. Sie wird einfach nur vergessen. Sie will einfach nur vergessen.

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Stolpernd führt der Student Arrow und Dalmi an. Lässt hin und wieder Silben fallen, doch die beiden überhören ihn einfach. Sind erstaunlich still. Nachdenklich. Eine nicht zu benennende Schwermut hat sie befallen, irgendwo in ihnen wirbelt die Gewissheit, dass schon der heutige Abend richtungsweisend für ihr Dasein als Tandem sein kann.

Student: „Ich muss sie noch auf ein, zwei Dinge hinweisen, damit sie nicht irritiert sind. Also – die Interviewerin wird Lisa Sanders sein. Sie hat diesem Interview nur zugestimmt, wenn sie von ihnen durch einen deckenhohen und von Wand zu Wand reichenden Maschendraht getrennt ist. Und die Beleuchtung wird aus sein.“

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Sie hört sie kommen. Klammert sich mit eiskalten Fingern an den Stacheldraht. Wie werden sie reagieren? Weiß Arrow überhaupt noch, wer sie ist? Wird ihm die Situation unangenehm sein? Wird er überhaupt irgendein Interesse zeigen?

>>>CUT<<<

Dunkelheit. Der Student wendet sich ab, deutet zum Ende des Ganges.

Student: „Dahinten ist es. Ich lasse sie jetzt allein.“

Wieselt von dannen. Dalmi und Arrow blicken sich an. Vermuten keinen Hinterhalt, das wäre zu eindeutig. Verschwinden schweigend in der Dunkelheit, bis das Schwarz ihre Schatten gefressen hat und nur noch Schemen zu erkennen sind.

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Sie. Sind.

Da.

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Eine weibliche Stimme ertönt aus der Dunkelheit. Es ist tatsächlich Lisa Sanders und an der deutlichen Akustik ist zu erkennen, dass sie ein Mikrophon besitzt.

Lisa: „Kriss Dalmi. Jeffrey Ron Arrow.”

Eine matte Müdigkeit zeichnet ihre Stimme. Die Wirkung der Alprazolam setzt ein.

Arrow: „Lisa.“

Seine Stimme dröhnt blechern durch die Stille. Ein stummes Nicken des Serben, das nur Lisa Sanders erkennen kann, welche die Silhouetten ihrer Interviewpartner trotz der Dunkelheit vor der weiter entfernten Deckenbeleuchtung deutlich erkennen kann.

Lisa: „Es… es macht den Anschein, als wären sie nun tatsächlich als Team unterwegs? Endgültig aneinander gebunden durch den heutigen Abend und vielleicht auch für länger?“

Ein Knistern ist zu vernehmen, als die Interviewerin das Mikrophon gegen den Draht presst, damit die Antwort besser zu verstehen ist. Aus dem Zwielicht schälen sich schummrig und kaum erkennbar die Finger des Serben, die durch die Maschen reichen und sich mit einem schwächlichen Scheppern um sie schließen. Dann folgt seine Schnauze, die er gegen den Zaun presst.

Kriss Dalmi: "Wer hätte so etwas mal vermutet, Lisa, huh? Selbst ich hätte nie damit gerechnet, dass es mal so kommen würde! Man stellte mich vor zahllose, schier unlösbare Rätsel, zumindest dachte ich das, dabei war doch eigentlich alles so einfach! Respektiere die Älteren und erkenne, was sie für dich geleistet haben, als sie dir den Weg ebneten. Zugegeben, so ganz passt das nicht in meine Vorstellung von einer Gesellschaft, die sich von allen Zwängen und jedweder Ethik lossagt und nur noch existiert, um ihren niedersten Instinkten nachzugehen, aber nie habe ich behauptet, dass ich immer richtig liege!"

Findige Smarks und/oder Nerds mit zu viel Freizeit, finden auf diese Aussage zahlreiche, im Netz verstreute Gegenbeweise, und wer weiß? Vielleicht wird genau diese Diskrepanz in Videoform irgendwann mal auf einem großen Online-Videoportal landen, doch um diese Menschen mit zu viel Freizeit soll es nicht gehen. Ohnehin dreht und wendet sich ein Junkie die Wahrheit wie er sie eben gerade braucht. Sonst wäre er kein Junkie!

Kriss Dalmi: "Fakt ist, Jeffrey Ron Arrow... Jeffy hat mir die Augen geöffnet und dank ihm weiß ich jetzt, wem ich in der PCWA noch mein Vertrauen schenken kann. Ist es da nicht Fug und Recht, nun auch im Ring einen gemeinsamen Weg einzuschlagen?"

Lisa Sanders erscheint kurz im Streiflicht des entfernten Lichtes, verschwindet sogleich wieder in der Dunkelheit.

Lisa: „Eine Frage, die ich ihnen natürlich stellen muss – ihr Gegner, Chris McFly jr. hat lange verschwiegen, wer sein Partner sein wird. Im Grunde genommen hat er bislang Schwierigkeiten gehabt, überhaupt jemanden zu finden, der an seiner Seite antreten möchte. Gehen sie davon aus, dass er jemanden gefunden hat? Und ist das ein Vorteil oder ein Nachteil für sie?“

Die Lüge hustet leise auf. Lisa schaudert es. Eine anziehende Wärme umschließt seine Worte, eine Wärme, die sie anekelt und zugleich wie eine unbekannte Zunge forschend und warm an den Innenseiten ihrer Schenkel hinauf kriecht. Sie versucht den Gedanken abzuschütteln, das Gefühl loszuwerden, doch die Tablette tut das Übrige.

Arrow: „Es tut mir so leid, Lisa.“

Die Worte treffen sie wie ein Schlachtschussgerät, nur direkt ins Herz. Es tut mir so leid. Es tut mir so leid. Genau diese Worte hat er benutzt, bevor er den Fleischerhaken aus seiner Tasche holte und ihren Geliebten damit die Rampe heraufgezogen hat. Obwohl sie nur seinen von sanften Spiegelungen umrissenen Scherenschnitt erkennen kann, weiß sie, wie er gerade guckt. Weiß es genau, weiß, wie seine Augen versuchen, Unschuld auszudrücken, wie sein Mund von klebrigem Speichel umfasst ist. Tonloses Würgen. Sie versucht sich zu beherrschen.

Lisa: „Würden sie einfach meine Fragen beantworten, bitte?“

Erneut ist es Kriss Dalmi, der sein fratzenhaftes Antlitz gegen den Zaun drückt, um hier den geschäftlichen Teil dieser Zusammenkunft zu übernehmen.

Kriss Dalmi: "Ich würde es mir so sehr wünschen, dass er einen Partner für unser bevorstehendes Schlachtfest findet, denn das würde gleichzeitig auch bedeuten, dass wir neben dem "WanderVOGEL des Wrestlings" noch einen weiteren Körper zum Schänden hätten, eine weitere Leinwand aus Haut und Fleisch, um ausdrucksstarke Gemälde darauf zu malen. Solange ich meine künstlerische Ader ausleben kann, werde ich mich nicht darum scheren, wer so töricht ist, sich mit McFly zusammen massakrieren zu lassen. Ich muss nämlich zugeben, dass ich letzter Zeit nicht sonderlich schöpferisch war, weil ich mich darum kümmern musste, alte Zöpfe abzuschneiden. Aber weißt du was, Lisa? Mich hat die Kreativität wieder gepackt! Die Muse hat mich in den letzten Nacht wiederholt heimgesucht und ich habe dieser Schlampe die Innereien aus dem Leib gefickt, sodass sie ihr aus dem Mund wieder herauskamen, und jetzt habe ich wieder richtig Bock! Ich will mein Portfolio erweitern und wer würde sich dafür besser eignen als dieser Chris McFly Jr., der schon so viele Kontinente bereist hat, so viele Matches in seiner Karriere bestritten und Titel gewonnen hat und so oft mit Superlativen von der Presse überhäuft wurde? Die Zeiten seiner wrestlerischen Großtaten, in der er gleichzeitiger Halter zweier World Championships und der Cryption Crown war, mag vorbei und sein Zenith überschritten sein, aber das Vermächtnis seines Namens existiert auch über diese Spanne hinaus noch weiter und übersteigt nach wie vor Ligengrenzen. Einen Platz in meiner Gallerie des Wahnsinns hat er sich damit redlich verdient, findest du nicht auch?"

Lisa blickt auf, die Silhouette des Serben in der Düsternis studierend, dabei aber immer wieder verdrägend, dass auch er dort irgendwo noch lauert. Sie schüttelt den Gedanken wortwörtlich ab. Ihr lockiges Haar wirbelt dabei herum. Noch einmal muss sie schlucken, dann holt die junge Kölnerin zu ihrer nächsten Frage aus.

Lisa: "Sie haben bisher nicht den Eindruck gemacht, als ob solcherlei Dinge wie die bisherigen Erfolge und Auszeichnungen ihrer Gegner sie interessieren würden. Warum jetzt bei ihrem heutigen Gegner Chris McFly Jr.?"

Die Finger lösen sich wieder aus den Maschen. Kriss Dalmi tritt einen Schritt zurück in den Schutz der künstlichen Nacht. Von jenseits der rautenförmigen Struktur glaubt Lisa Sanders ein Lächeln in der Dunkelheit erkennen zu können.

Kriss Dalmi: "Womit du vollkommen recht hast, Lisa! Nach wie vor ist es das gleiche Muster, die gleiche ums Neue erzählte Geschichte. Es geht nicht um ihn an sich, sondern um darum für welche Werte er in dieser Liga zusammen mit solchen EKELHAFTEN wie Grizz Lee, Alistair Brunswick oder Diégo Sanchez momentan steht. Ich spucke auf seine Erfolge, ich spucke darauf, was für ein toller Wrestler er ist! Die einzige Bedeutung, die seine Erfolge für mich haben ist die Bedeutung, die andere Menschen diesen Erfolgen beimessen, sei dies durch die Presse oder durch Scharen irgendwelcher Fanschäfchen. Jeffy und ich werden diese Errungenschaft zum Einsturz bringen, sie begraben und darauf pissen, indem wir ihm und seinem mysteriösen aber völlig uninteressanten Partner ihre Grenzen aufzeigen und all diesen unwissenden Ignoranten demonstrieren, dass für solche Werte, für die er steht und geliebt wird, kein Platz in einer PCWA ist, wie wir sie uns vorstellen."

Es schaudert sie abermals. Die Kälte in Dalmis Worten ist nicht weniger unheimlich, als selbige in Arrows Stimme. Wie um sich selbst ihres Schutzes zu versichern, greift Lisa Sanders in den Maschendrahtzaun. Weißlich, fast gräulich erscheinen ihre Finger im kaum vorhandenen Licht. Mit nicht vorhersehbarer Geschwindigkeit schnellt Arrow nach vorne, umklammert mit seinen Fingern die von Lisa. Erstaunt schreit sie auf, zu übertölpelt, um Angst empfinden zu können.

Arrow: „Das alles hier… ich würde dir nie etwas tun, Lisa Sanders. Niemals. Das alles hier… ist überflüssig. Aber ich kann dich verstehen, wir können dich verstehen.“

Träge – diese verfluchte Tablette - antwortet Lisa.

Lisa: „Lassen… sie… auf… der… Stelle… meine… Hand…“

Die Lüge löst die Berührung. Mehr ein Flüstern zu sich selbst, als eine ernst gemeinte Frage ist zu vernehmen.

Lisa: „Wie halten sie es mit diesem Typen überhaupt aus? Warum ausgerechnet er? Warum nicht Rage? Oder irgendein anderer der ganzen Verrückten hier…“

Aus der Schwärze dringt ein kehliges Lachen, so als müsse der Serbe die eben gestellten Fragen der Interviewerin selbst noch einmal unterstreichen. Oder vielleicht fühlt er sich auch wirklich nur in gewisser Weise amüsiert. Die im Zwielicht verborgene Miene lässt keinen Schluss darauf zu.

Kriss Dalmi: "'Verrückt' ist hier in der PCWA ein ambivalenter Begriff. Es kommt doch auf die Perspektive an. Wenn Robert Barker das Gefühl in sich trägt, jemandem die Kehle aufschlitzen zu müssen, dann wird dem eine inhärente Logik zu Grunde liegen. Wenn Blake sich daran aufgeilt, seine reale Ultraviolent-Variante von 50 Shades of Milton auszuleben, dann wahrscheinlich, weil dahinter irgendwo ein größerer Sinn verborgen liegt. Und genauso ist es doch mit Jeffy! Auch für die Schlachtung des Barbarians gibt es ein schlüssiges Motiv, das man nicht einfach so leichtsinnig mit dem Etikett der Geisteskrankheit auszeichnen kann, ohne sich darüber vernünftig Gedanken gemacht zu haben..."

Er will mit seinen absolut nachvollziehbaren Erläuterungen zum offenbar sehr kontroversen Thema "Wahnsinn" fortfahren, stoppt aber plötzlich mitten im Satz. Ist das da eine Träne? Dalmi stülpt seinen Kopf aus der Dunkelheit zum Zaun und kneift die Augen zusammen, um besser sehen zu können. An dem ungerührten Gesicht der Kölnerin rinnt eine Träne hinab. Da ist wieder diese Flut grässlicher Bilder, die ihr geistiges Auge erfüllt. Sie atmet schwer, ringt mit ihrer Fassung, gibt sich Mühe, dieses sonderbare Interview an dieser Stelle nicht sofort abzubrechen. Warum wird sie in diese Situation geworfen? Was ist diese Tablette denn überhaupt wert, wenn sie es nicht schafft, diese grauenhaften Szenen aus ihrem pochenden Kopf zu verbannen? Kollektives Schweigen von jenseits des Maschendrahtes. Sekunden scheiden dahin. Schließlich ist es Arrow, der das Schweigen beendet.

Arrow: „Ich denke, das genügt. Wir gehen. Auf Wiedersehen, Lisa.“

Lisa sieht, wie Arrows Silhouette der von Dalmi freundschaftlich auf die Schulter klopft. Bestätigendes Nicken des Serben. Sie schweigt. Kein „Viel Glück“. Kein „Danke für das Interview“. Nur – Schweigen. Kurz verharren Dalmi und Arrow noch auf ihrer Seite des Zauns. Dann packt Dalmi die Lüge am Arm, drängt ihn weg.

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Sie sieht die beiden verschwinden, sieht, wie die beiden immer weiter zurück ins Licht gehen. Doch dieses Licht ist nicht ihr Licht. Sie wird hier bleiben, hier, wo der Schatten ihre Sonne darstellt. Das Mikro gleitet zu Boden. Eine Hand fährt vor ihren Mund, sie kann nicht einmal feststellen, ob es ihre Rechte oder  Linke ist. Mühselig versucht sie, weitere Tränen zurückzuhalten. Lässt sich gegen den Maschendraht sinken. Dann platzt es aus ihr heraus, Tränen, Rotz, Speichelfäden. Doch außer ihr… nimmt das niemand wahr.

Ein Gefühl der Kälte dringt durch ihren Hosenboden, ausgelöst von dem steinernen Boden, auf dem sie kauert. Doch sie spürt es nicht. Alles was sie spürt, ist ein großes Nichts, das sich mit einem tiefen Schmerz paart und all die Angst betäubt, die sie Nacht für Nacht spürt. Er war da. Hat sie berührt. Hat… dieses Gefühl zwischen ihren Schenkeln ausgelöst.

Mit kleinen, geballten Fäusten prügelt sie auf den Maschendraht ein, der das mit einem höhnischen Quietschen quittiert. Er darf das nicht, er darf das nicht, er darf nicht so ein Gefühl bei ihr auslösen, er soll verrotten, in der Hölle schmoren, soll…

Lisa: „…verschwinden. Oh bitte, verschwinde doch einfach!“

>>>CUT<<<

Dalmi und Arrow sind längst wieder in ihrer Kabine angekommen. Haben das Interview schon längst da eingeordnet, wo es hingehört: In die Vergangenheit. Kümmern sich um das Jetzt. Und um das Dann. Dalmi stößt Arrow an und holt daraufhin sein Smartphone aus der Hosentasche hervor.

Kriss Dalmi: "Brate, was ich noch wissen wollte: Wie kann man mit diesem Teil verdammte Videos auf YouTube anschauen???"

Er reicht der Lüge das Ding aus einer fernen Galaxie und das Instrument in die Hand nimmt. Die Lüge bedenkt den Serben mit einem amüsierten Seitenblick.

Arrow: „Wirklich jetzt?“

Dalmi zieht die Nase kraus.

Kriss Dalmi: „Ja, Mann!“

Mit flinken Fingern entfernt Arrow die Tastensperre, betätigt den YouTube-Button und grinst nach wenigen Sekunden des Suchens.

Arrow: „Dieses Video könnte dich amüsieren. Geht auch ganz einfach.“

Die Kamera zoomt auf das Display des Smartphones. „The 10 dumbest slanders of Azrael Rage“ steht da, in simplen weißen Buchstaben auf royalrotem Hintergrund. Das Bild fadet aus. „10: Vendetta 92“ wird eingeblendet. Kurzer Ausschnitt aus einer Videosequenz, in der Rage, Aleks G. und Bob Mile zu erkennen sind. Mit erstaunlich guter Tonqualität erschallt „Ihr Idioten taucht hier auf und benehmt Euch wie Affen“ aus dem kleinen Lautsprecher des Smartphones. Wieder fadet das Bild aus. Ein neuer Schriftzug. „9: Vendetta 98“. Ein Video. Rage und Kriss Dalmi. Ein etwas kratziger Ton ist zu hören: „…sei das Anhängsel von diesem Schwachkopf im Sadomasokostüm…“.

Dalmi sieht Arrow an. Arrow sieht Dalmi an. Beide prusten los.

Kriss Dalmi: „Das war ja ich.“

Arrow: „Warte ab, das beste kommt noch…“

 

Vincent Craven: "Arme Lisa! Nachdem, was Jeffrey Ron Arrow dem Barbarian angetan hat, dürften ihr die Ausführungen Dalmis zu seinem neuen Kumpel Jeffrey Ron Arrow sicher schwer zugesetzt haben."

Mike Garland: "Aber Lisa ist und bleibt Profi und macht ihren Job."

Vincent Craven: "Wir haben ein paar interessante Einblicke in Dalmis Seelenleben erhalten. Und das ist tatsächlich so verwirrt, wie wir es uns immer vorgestellt haben."

Mike Garland: "Seine Ansichten sind wirklich etwas... gewöhnungsbedürftig. Seltsam, wie schweigsam Arrow war. Das kennt man sonst ja gar nicht von ihm."

Vincent Craven: "Auch er hat eben mal einen stilleren Moment. Außerdem hat Kriss ja alles gesagt."



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