Frage: Was wiegt 175 Kilogramm, hat zerzaustes blondes Haar, einen viel zu kleinen grauen Anzug an und schwitzt wie ein katholischer Pfarrer beim Unterricht in der Grundschule?

Antwort: Fatman Wallace.

Kennen Sie nicht? Macht nichts, vom ersten Eindruck her haben Sie da auch nichts verpasst, wie mir scheint. Der Brummer steigt aus einem klapprigen Mietwagen von Toyota (Corolla?), dessen Stoßdämpfer sagen „Danke“ und lassen das Vehikel gleich mal wieder 30cm (gefühlt einen Meter) in die Höhe schnellen.

Stoßdämpfer: BOOOIIING!!!

Es herrscht Betrieb hier auf dem Parkplatz, Fans laufen herum, noch mehr Fans laufen herum, und am meisten laufen eigentlich Fans herum... Und mitten drin Fatman Wallace. Nur das der eben nur steht, und nicht läuft, dazu kommt er gleich, denn erstmal muss er noch seine Sport-Tasche aus dem inneren des Trucks holen, dann die Tür schließen, mittels eines Brecheisens aus dem Kofferraum ins Schloß einrasten lassen und dann abschließen. Dann schultert er seine Tasche, zieht einen großen „Baby Ruth“-Riegel aus seiner Anzugtasche, reißt gekonnt die Ecke mit dem Mund auf und beginnt zu essen, während er losläuft. Er sieht sich um.

Menschen. Menschen überall.

Was sie über diesen Kerl nicht wissen können... Russel Theodore Wallace, genannt Rusty, Kampfname „Fatman Wallace“, hat sich keinerlei Vorstellungen darüber gemacht, wie viele Fans zu einer PCWA-Show kommen. Bisher kennt er nur Turnhallen und Kneipen mit 100 oder 200 Fans, die großen Events hingegen... Die hat er höchstens als Fan besucht. Alleine. Nicht mit seinem Dad oder Bruder oder besten Freund oder gar einer Freundin, nein Sir, ziemlich alleine. Mit Rusty wollte keiner rumhängen. Nicht mal sein Dad.

Aus der anderen Anzugstasche fummelt er einen Zettel, ein Papier, mit einem dicken Fleck drauf... Kaffee vielleicht, wohl eher Schokolade... Wobei, könnte auch BBQ-Sauce sein. So ein braunes Zeug eben. Als er es sieht, werden seine Augen groß, er haut den Riegel komplett weg und stopft das Papier davon in den nächstbesten Mülleimer.

Rusty: „Ach verdammt...“

Er dreht und wendet das Blatt, begutachtet es von allen Seiten, versucht sogar mit dem Ärmel, den Fleck ein wenig zu polieren, aber Pustekuchen – Der Fleck ist drin. Das Papier ist versifft, so einfach ist es, und Rusty, von Natur aus schon immer etwas tollpatschiger gewesen, ärgert sich über sich selbst am Meisten. Verdammte Schokoriegel. Verdammtes Papier. Verdammtes... War das überhaupt Schokolade? Rusty sieht sich um, vorsichtig, das auch ja Niemand kommt oder herüber sieht, dann leckt er an dem Fleck. Könnte der Schokoladen-Shake gewesen sein, den er sich vorhin am Bahnhof beim McDonals geholt hatte. Ja, es ist definitiv ein Schoko-Shake, aber beim zweiten Schmecker dann doch eher der vom Burger King, den er sich geholt hatte, nachdem der vom Mäckes zu schnell leer war. Wonach er sich nochmal einen vom McD besorgt hatte, weil die vom BK dann doch nicht so pralle sind und der Wohlfühl-Effekt nicht so richtig eintrat, aber der Fleck... Ja, der Fleck stammte definitiv nicht von einem Shake mit dem goldenen M. Nein, Sir.

Was macht dieser übergewichtige Kerl hier, werden sie sich fragen? Hier in Berlin? Hat der ein Ticket für die PCWA gekauft? Also, das kann ich ihnen so weit versichern: Nein, hat er nicht. „Fatman Wallace“ ist Pro Wrestler. Einer der letzten dicken Kerle, die in den 80er und 90er Jahren mal so beleibt, öhm, beliebt waren. Okay ich geb's zu, das war kein Vertipper, das war Absicht, aber vergessen wir das. Jedenfalls ist Rusty Wallace Profi-Wrestler. Und er hat sich tatsächlich ein Vorstellungsgespräch ergattert, irgendwie... Gut, was heißt irgendwie, jemand hat ein paar seiner Kämpfe auf YouTube gesehen und ihn dann per Post (Nicht E-Mail, POST!!! Brief! Die über 30jährigen werden sich vielleicht noch erinnern....) gefragt, ob er nicht Zeit, Lust und Laune hätte, mal bei der PCWA vorstellig zu werden.

Zeit, Lust und Laune hatte Rusty in Hülle und Fülle, woran es dem Mann mit einem B.Sc. mangelte, war schlicht und ergreifend bargeld. Tante Bonnie hatte da aushelfen können und ihm den Flug bezahlt und den Leihwagen sowie ein paar Nächte in einem Hotel, dummerweise hatte Rusty gelogen, als sie ihn fragte, ob er denn noch Geld habe zum ausgeben... Er hatte ja die alte Dame nicht noch weiter schröpfen wollen. Ein gutes Herz in Ehren, aber fast völlig abgebrannt in einem fremden Land darauf zu hoffen, das man einen Job bekam und darauf Erfolgsaussichten von unter 10% hatte... Na ja. Aber Wunder gibt es immer wieder, hatte mal jemand besungen. Gut, dieser Jemand hatte auch Dinge besungen wie „In Petersburg ist Pferdemarkt“ und „Es war einmal ein Jäger“, aber man durfte trotzdem an Wunder glauben. Richtig?

Türsteher: „Hey...“

Nein, es ist nicht Bernd, es ist einer seiner Angestellten. So ein Kerl, bei dem man von Weit weg denkt: „Mann, was'n DAS für ein Typ???“ und wenn man ihn dann näher sieht, dann... Weiß man, das man Recht hatte. Neben ihm eine ähnliche Marke Mensch, sieht aus als hätte er auf der letzten Beerdigung den Strauß gefangen, aber sie tragen Shirts mit der Aufschrit „Security“ und blockieren den Seiteneingang der Halle. Wir nennen sie jetzt mal Erkan und Dimitri, einfach weil das passende Namen für Türsteher sind (Zumindest da wo ich herkomme...) und weil „Türsteher 1“ und „Türsteher 2“ blöd klingt.

Rusty: „Excuse me, I...“

Erkan: „Eh Eingang is' Vorne, Mann.“

Rusty: „But I...“

Dimitri: „Hast du nicchht gehört? Eingang ist Vorne.“

Rusty: (in gebrochenstem Deutsch) „Ent-schuldi-gän Sie biiittäää... Ick suu-kee die Personal Bjuro.“

Erkan: „Eh... Was los, Lan?“

Dimitri: „Du hast nicchht verstanden?“

Rusty: „Ick muss eine Gespräck haben!“

Erkan: „Eh was haben, eh?“

Dimitri: „Hast du Termin?“

Rusty: „Eeeeeeeeeeeeeehm... I have... Ick habäää... Ick habäää eine Appointment here...“

Dimitri: „Egal. Aber hast du Termin?“

Erkan: „Eh kannst du keine Termiten haben, Lan... Termiten wohnen im Stein. Nicht in Menschen.“

Dimitri: „Da.“

Erkan: „Wo?“

Dimitri: „Ja.“

Erkan: „Eh das is' voll keine Antwort, eh!“

Dimitri: „Da. Ist Antwort.“

Erkan: „Wo?“

Dimitri: „Da.“

Erkan: „Da hinten?“

Dimitri: „Njet. Da ist Antwort. Termiten wohnen Stein? Ja. Da.“

Erkan: „Ey wo? Ey isch will keine Termiten hier, eh! Eh sind voll eklig, eh!“

Dimitri: „Da ist russisch für Ja.“

Erkan: „Ah.“

Dimitri: „Du!“

Rusty: „What?“

Dimitri: „Hast du Termin?“

Rusty: „I... I have... Wait a minute, I got it... I got it right here... Here it is! Look!“

Der versiffte Zettel kommt an dieser Stelle ins Spiel. Angewidert nimmt Erkan das Stück Papier in die Hand, trotz seiner Handschuhe, faltet es auseinander... Man kann nicht mehr wirklich etwas erkennen, geschweige denn lesen. Ein riesiger, brauner Fleck macht sich breit. Mit zwei Fingern gibt der Türsteher dem dicken Rusty das Papier zurück...

Erkan: „Was' das, Lan?“

Rusty: „This is... This is my confirmation... I got an interview tonight!“

Dimitri: „Ah! Interview! Du bist von Website?“

Rusty: „Website?“

Erkan: „Website!“

Rusty: „Website!!!“

Dimitri: „Website!“

Erkan: „Sagst du gleich nächste mal, okay? Du kannst rein, aber Catering ist nicht für dich, nur für Angestellte, also Finger weg.“

Mit diesem Worten öffnen Sie ihm die Tür, und ohne groß nachzudenken quetscht sich der propere Amerikaner durch den schmalen Seiteneingang, danach fällt die Tür hinter ihm ins Schloß. Wir bleiben bei Erkan und Dimitri, die sich gegenseitig anschauen und den Kopf schütteln...

Erkan: „Habe ich das richtig verstanden, dieser Kerl möchte hier ein Vorstellungsgespräch besuchen?“

Dimitri: „So wie ich die Situation erfasst habe... Wohl ja, alter Knabe.“

Erkan: „Sapperlot, mich laust der Affe! Und dies bei dessen Körpergewicht? Auf was schätzen sie ihn, Herr Kollege?“

Dimitri: „Drei, wenn nicht vier Zentner!“

 

Luke Tyler: "Was war das denn?"

Anna Richmond: "Dieser Fleischberg scheint sich um einen Platz als Nachwuchswrestler bewerben zu wollen."

Luke Tyler: "Oh, ich meinte eigentlich diese beiden grenzdebilen Türsteher. Wir sollten uns mit Jona Vark dringend einmal um das neue Personal bei Gabriel Security unterhalten, die beiden dort stehen an unserer Tür und wirken nicht gerade... repräsentativ."

Anna Richmond: "Aber kommen wir tatsächlich einmal zu diesem Russel Wallace. Hast du schon einmal etwas von ihm gehört, Luke?"

Luke Tyler: "Es gab einmal einen britischen Naturforscher gleichen Namens, aber der ist vor fast 100 Jahren gestorben. Ansonsten - nichts. Keine Titelgewinne, keine Erfolge in renommierten Ligen. Es scheint, als ob er bisher nur in Hinterhofligen angetreten ist."

Anna Richmond: "Und dann will er den Sprung in die PCWA wagen? Ich bin gespannt, habe aber meine Zweifel."

Luke Tyler: "Die nötige Masse bringt er mit. Aber bedrohlich wirkte er irgendwie nicht. Eher... tapsig."

Anna Richmond: "Vielleicht kann er ja Jona und unseren Nachwuchstrainer Marc Stevens überzeugen und bekommt ein Tryout."

Luke Tyler: "Dann müssten wir das Backstage-Buffet aufstocken."

Anna Richmond: "An dem können wir beide uns auch gleich erst einmal bedienen, denn das war's schon mit unserer kleinen Pre-Show! Wir melden uns zwischendurch immer noch einmal mit den Results der Possession Awards."

Luke Tyler: "Bis dahin wünschen wir euch noch viel Spaß bei Vendetta 99!"